Cyanocobalamin gehört zu den Cobalaminen, die sich durch ein komplex gebundenes zentrales Cobalt-Ion auszeichnen. Cobalamine werden von Bakterien gebildet und sind für den Menschen ein essentieller Nahrungsbestandteil. Sie kommen in tierischen Produkten wie Fleisch und Fisch, Milch, Eier, Leber und Niere, nicht jedoch in pflanzlicher Nahrung vor. Cyanocobalamin und Hydroxycobalamin werden in der Medizin als inaktive Form des Vitamin B12 zur Supplementierung eingesetzt. Daneben wird in Nahrungsergänzungsmitteln aber auch Methylcobalamin eingesetzt.
Der tägliche Bedarf an Vitamin B12 liegt bei etwa 1-2 µg, wobei die tägliche turnover-Rate bei etwa 2,5 µg liegt. In der Leber sind bei normaler Ernährung etwa 2 mg gespeichert. Darüber hinaus sind in anderen Organen wie etwa der Muskulatur weitere 1-2 mg gespeichert. Bei einem Mangel dauert es daher 3-5 Jahre, bis sich klinische Symptome entwickeln. Für eine effektive Aufnahme von oral zugeführtem Vitamin B12 ist der sog. „intrinsic factor“ der Belegzellen (= Parietalzellen) des Magens notwendig. Der intrinsic factor ist ein spezifisches Glykoprotein, das Vitamin B12 bindet und so für eine Resorption im terminalen Ileum verfügbar macht. Etwa 1/100 des oral aufgenommenen Vitamins wird im terminalen Ileum auch ohne Bindung an den intrinsic factor durch passive Diffusion aufgenommen, so dass man mit sehr hohen Dosierungen auch bei einem Mangel an intrinsic factor eine ausreichende Aufnahme sicherstellen kann. Die übliche Supplementierung bei Mangel an intrinsic factor erfolgt jedoch intramuskulär. Die maximale Resorption von an intrinsic factor gebundenem Vitamin B12 beträgt etwa 1,5 µg pro Tag, die auch bei hoher Zufuhr oraler Dosierungen von Vitamin B12 nicht gesteigert werden kann. Nach Resorption wird Vitamin B12 an Transcobalamin (Plasmaprotein aus der β-Globulin-Fraktion) gebunden und in die Leber bzw. die peripheren Organe transportiert. Wie oben schon angedeutet ist der Serumspiegel von Cobalamin abhängig von den Ernährungsgewohnheiten. Der Normwert liegt zwischen 200-1100 pg/ml. Hypervitaminosen sind wegen der guten Wasserlöslichkeit des Vitamins nicht zu erwarten. Vitamin B12 wird über die Galle ausgeschieden und unterliegt weitgehend dem enterohepatischen Kreislauf. Bei sehr hohen Dosierungen durch i.v.- oder i.m.-Injektion werden 50-90 % der verabreichten Dosis innerhalb von 48 Stunden über den Urin ausgeschieden, weil die Speicherkapazität des Organismus überschritten wird.
Beim Menschen wird Vitamin B12 für zwei enzymatische Reaktionen benötigt:
Zum einen ist es Coenzym (= prosthetische Gruppe) der Methionin-Synthase. Dabei wird auf Vitamin B12 die Methylgruppe der N5-Methyl-Tetrahydrofolsäure übertragen, die wiederum weiter an Homocystein gebunden wird, aus dem dann Methionin entsteht. In diesem Schritt wird also Tetrahydrofolsäure, die als eigentlicher Methylgruppen-Donator fungiert, regeneriert, wobei gleichzeitig Methionin gebildet wird. Bei Mangel an Vitamin B12 kommt es daher sekundär zu einem Folsäure-Mangel und einem Anstieg von Homocystein. Der Folsäure-Mangel führt zu einer verminderten Synthese der Purinbasen Adenin und Guanin sowie der Pyrimidinbase Thymin, was schließlich die DNA- und RNA-Synthese insbesondere von Blutzellen stört. Hohe Homocystein-Spiegel begünstigen das Entstehen von Arteriosklerose. Durch hohe Dosierungen von Folsäure können die Auswirkungen eines Vitamin B12-Mangels bezüglich der gestörten Blutbildung zwar verhindert werden, haben aber keinen Einfluss auf die zweite enzymatische Reaktion, an der Vitamin B12 beteiligt ist. Daher werden damit die ZNS-Störungen nicht behandelt.
In der zweiten enzymatischen Reaktion katalysiert Vitamin B12 die Umwandlung von Propionyl-CoA zu Succinyl-CoA. Propionyl-CoA, das ein Endprodukt aus dem Abbau ungeradkettiger Fettsäuren ist (z. B. aus den Aminosäuren Valin, Threonin und Isoleucin), wird in einem ersten Schritt Biotin-abhängig (Biotin = Vitamin B7, also zum Vitamin B-Komplex gehörig) zu Methylmalonyl-CoA umgewandelt, das dann Vitamin-B12-abhängig zu Succinyl-CoA isomerisiert. Dieser zweite Schritt wird durch die Methylmalonyl-CoA-Isomerase katalysiert und dient mit der Bildung von Succinyl-CoA der Einschleusung von ungeradkettigen Fettsäuren in den Citratzyklus. Bei einem Vitamin B12-Mangel führt der Anstieg von Methylmalonsäure besonders im ZNS zu Funktionsstörungen wie z. B. Parästhesien. Diese eventuell irreversiblen Symptome können durch hohe Dosierungen von Folsäure nicht behoben werden, weshalb in der Diagnostik auch immer klar zwischen Folsäure-Mangel und Vitamin B12-Mangel unterschieden werden muss.