Eine Belastungsinkontinenz (älterer Begriff: Stressinkontinenz, englisch: Stress Urinary Incontinence, SUI) bezeichnet den ungewollten Urinabgang bei einer intraabdominellen Druckerhöhung. Durch eine Schwäche der Beckenbodenmuskulatur inklusive deren Haltebändern wird die Funktion des Harnblasenschließmuskels (Musculus sphincter urethrae) gestört. Häufig kommt auch noch eine Absenkung (Descensus) von Vagina und Uterus (Gebärmutter) hinzu, so dass bei intraabdomineller Drucksteigerung der Druck nur noch auf die Harnblase wirkt, nicht aber mehr auf die nun ausserhalb des Bauchraums liegende Urethra (Harnröhre). Erschwerend kann eine Schwächung des die Harnröhre fixierenden Bandapparates hinzukommen, der sie bei einer Druckerhöhung komprimieren soll. Die häufigste Ursache für eine Beckenbodenschwäche sind mehrfache Geburten, so dass wesentlich mehr Frauen als Männer von einer Belastungsinkontinenz betroffen sind. Andere Ursachen sind Unfälle oder traumatische Schäden im Rahmen von Operationen im Bereich des Beckens (z. B. Prostata-Entfernung). Übergewicht ist ein begünstigender Faktor, da der Druck auf den Beckenboden steigt und es zu einer relativen Beckenbodenschwäche kommen kann. Die Belastungsinkontinenz wird in verschiedene Schweregrade eingeteilt:
- Grad 1: Ungewollter Urinabgang erst bei schweren körperlichen Belastungen wie Lachen, Niesen, Husten, Hüpfen, Springen
- Grad 2: Ungewollter Urinabgang schon bei leichten körperlichen Belastungen wie Treppensteigen, Gehen, Hinsetzen, Aufstehen
- Grad 3: Ungewollter Urinabgang im Stehen
- Grad 4: Ungewollter Urinabgang im Liegen
Die Anamnese des Patienten ist bei der Diagnostik zielführend. Ein Harnwegsinfekt muss unbedingt ausgeschlossen werden, da ein unwillkürlicher Urinabgang auch ein -häufig alleiniges- Symptom einer gereizten Harnblase sein kann. Daher sollte ein Urinstatus erhoben werden. Eine weiterführende Diagnostik (z. B. Cystoskopie) richtet sich nach dem Schweregrad der Beschwerden.
Vor einer operativen Behandlung stehen mehrere konservative Behandlungsmethoden zur Verfügung. Bei Übergewicht verbessert eine Gewichtsreduktion um 5 % bereits die Inkontinenzbeschwerden. Allen postmenopausalen Frauen mit Belastungsinkontinenz sollte eine lokale Estrogenbehandlung empfohlen werden, unabhängig davon, ob eine vaginale Atrophie vorliegt oder nicht. Bei krankhafter Lageveränderung des Uterus verbessern intrauterine Pessare die Lebensqualität und Kontinenz-Rate der betroffenen Patientinnen deutlich. Zusätzlich sollte immer noch ein Beckenbodentraining und Blasentraining angestrebt werden. Das Beckenbodentraining sollte immer mit einem akustischen oder visuellen Biofeedback einhergehen, durch das dem Patienten die eigentlich unbewusst ablaufende Körperfunktion der Harnentleerung sicht- bzw. hörbar gemacht wird. Durch diese Signale lernt man, die entsprechende Körperfunktion bewusst wahrzunehmen und die Kontrolle darüber zurückzugewinnen. Eine weitere erfolgreiche Methode zur Stärkung der Beckenbodenmuskulatur ist der Einsatz eines Vaginalkonus, der als Hilfsmittel bei Inkontinenz rezeptiert werden darf. Durch ein hohes Eigengewicht des Konus sinkt er nach unten und erzeugt ein Gefühl des „Verlierens“, dem die Beckenbodenmuskulatur entgegenwirkt. Das Blasentraining beinhaltet das Führen eines Miktionsprotokolls. Die Toilettengänge werden zeitlich festgelegt und die Intervalle schrittweise um einige Minuten verlängert, bei Misserfolgen wieder verkürzt. Auf der Toilette sollte zunächst immer versucht werden, die Miktion einige Sekunden bewusst zu verzögern.
Als einzige medikamentöse Maßnahme bei mittelschwerer bis schwerer Belastungsinkontinenz steht der Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer Duloxetin zur Verfügung. Bei Tagesdosen von 80 mg reduziert Duloxetin die Belastungs- und Dranginkontinenz-Episoden. Allerdings gibt es viele Therapieabbrüche durch zum Teil erhebliche gastrointestinale und zentralnervöse Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen, Mundtrockenheit, Obstipation, Schwindel, Schlaflosigkeit und Müdigkeit.
Operativ wird heute meistens eine minimal-invasive TVT-Operation (tension-free vaginal tape) durchgeführt, bei der ein spannungsfreies Band unter die Harnröhre gelegt und nach oben zur Harnblase geführt wird. Die Erfolgsraten liegen über 70 % und die Lebensqualität der Patientinnen wird deutlich erhöht.