Eisenmangelanämie
Der Eisenmangel und die sich daraus entwickelnde Eisenmangelanämie ist eine sehr häufige Mangelerkrankung. Etwa 600 Millionen Menschen sollen weltweit davon betroffen sein. Der Gesamteisengehalt des Körpers beträgt 3,5-5 g, wovon ca. 70 Prozent auf das Hämoglobin und Myoglobin entfallen, deren Häm-Molekül jeweils 1 Eisen-Ion enthalten. Bei Eisenmangel sinkt der Hämoglobingehalt (Hb-Wert) und damit auch die Transportkapazität für den Sauerstoff im Blut. Ursächlich muss zwischen einer zu geringen Eisenzufuhr und einem zu hohen Eisenverlust unterschieden werden. Der normale tägliche Eisenbedarf liegt etwa bei 1 mg. Dabei ist zu berücksichtigen, dass oral nur zweiwertiges Eisen zu etwa 10-15 % im Duodenum (Zwölffingerdarm) und oberen Jejunum (oberer Teil des Dünndarms) resorbiert wird. Der Rest geht mit den Faeces verloren. Ein wichtiger Cofaktor bei der Eisenresorption ist Vitamin C, das dreiwertiges Eisen in resorbierbares zweiwertiges Eisen umwandelt. Hemmend auf die Eisenresorption wirken Milchprodukte, Kaffee, Hülsenfrüchte oder Nüsse. Eine zu geringe Eisenzufuhr ergibt sich, wenn
- tatsächlich zu wenig Eisen mit der Nahrung zugeführt wird,
- eine Eisenresorptionsstörung z. B. bei Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa besteht oder
- ein erhöhter Bedarf an Eisen (z. B. bis 2 mg/d im Wachstumsalter/ Schwangerschaft) besteht.
Aufgenommenes Eisen wird an Apoferritin gebunden und als Ferritin gespeichert. Für einen Transport im Blut muss das Eisen in dreiwertiges Fe(III) aufoxidiert werden, weil es nur in dieser Form an das Transportprotein Transferrin binden kann. Auch für die Aufnahme in die eisenverwertenden Zellen ist Fe(III) notwendig. Ein zu hoher Eisenverlust entsteht meistens durch akute oder chronische Blutverluste. Dabei muss es sich nicht unbedingt um sichtbare (und dann in der Regel größere) Blutverluste z. B. im Rahmen von Operationen, bei Blutungen aus dem Urogenitaltrakt, bei Blutungen aus dem Magen-Darm-Trakt (z. B. Ulcera, Tumore, Hämorrhoiden) oder Knochenbrüche handeln. Häufig -und dann immer karzinomverdächtig- sind chronische Eisenverluste durch okkulte, nicht sichtbare, Blutverluste meist über den Faeces.
Neben den allgemeinen o. g. Anämie-Symptomen können noch Mundwinkelrhagaden (Cheilitis angularis) auf einen manifesten Eisenmangel hindeuten. Zur Diagnose wird ein Blutbild gemacht. Der Hb-Wert ist erniedrigt, die Erythrozyten werden bei schweren Formen des Eisenmangels hypochrom und mikrozytär. Weiterhin können die Erythrozyten verschieden aussehen mit Anisozytose (verschieden groß), Poikilozytose (verschieden geformt) oder Anulozytose (ringförmig mit zentraler Aufhellung). Wegen starker Schwankungen macht es keinen Sinn, Eisenwerte zu bestimmen. Daher weicht man für die Diagnose eines Eisenmangels auf die Bestimmung des sog. „Speichereisens“ Ferritin aus. Typisch für einen Eisenmangel ist auch ein erhöhtes Transferrin bei gleichzeitig erniedrigter Transferrin-Sättigung.
Die Therapie sollte zunächst auf eine Beseitigung der Ursache abzielen, d. h. auslösende Erkrankungen zu erkennen und zu behandeln. Die Ernährung muss gegebenenfalls umgestellt werden. Eine symptomatische Eisenzufuhr ist möglich und wird in der Regel oral mit zweiwertigen Eisenpräparaten durchgeführt. Ein ungefährer Wert der benötigten Gesamtdosis lässt sich mit einer Formel (benötigte Menge Eisen in mg = Hämoglobin-Defizit in g/dl * 250) berechnen. Bei schweren Fällen oder bei Komplikationen wie z. B. Eisenunverträglichkeit oder akuten Erkrankungen wie z. B. Morbus Crohn muss auf parenterale, dreiwertige Eisenpräparate umgestellt werden. Eine Eisen-Supplementierung erfolgt über einen sehr langen Zeitraum (Monate), da wegen der geringen Resorption die Eisenspeicher nur sehr langsam wieder aufgefüllt werden. Orale Eisenpräparate sind sehr magenunverträglich. Etwas besser verträglich, aber teurer sind Präparate, die das Eisen erst im Duodenum (Zwölffingerdarm) freisetzen. Die geringe Resorption führt zu sehr dunklem Stuhlgang, worauf der Patient vorher hinzuweisen ist. Bei der parenteralen Eisen-Gabe kann es zu akuten Vergiftungen mit hämorrhagischer Gastroenteritis, Magenschmerzen, Erbrechen und Durchfall kommen. Als Antidot steht der Komplexbildner Deferoxamin zur Verfügung.
Anämie
Eine Anämie (Blutarmut) bezeichnet einen verminderten Hämoglobingehalt des Blutes unter die altersentsprechende Norm. Laut WHO liegt dabei die gemessene Hämoglobinkonzentration < 13 g/dl bei Männern bzw. < 12 g/dl bei Frauen (= Hb-Wert). Die Einteilung von Anämien gestaltet sich schwierig.
Eine sehr grob orientierende Einteilung ist die Unterteilung in angeborene und erworbene Anämien. Angeborene Formen sind etwa die Kugelzellanämie, bei der ein genetischer Defekt der Zellmembran von Erythrozyten vorliegt oder die Hämoglobinopathien, bei denen ein genetischer Defekt zu einer Störung in der Hämoglobinsynthese führt, wie z. B. bei den Thalassämien und Sichelzellanämien. In der Regel sind die mit Arzneistoffen behandelten Anämien erworben (z. B. Eisenmangel, Folsäuremangel, etc.).
Eine andere Einteilung der Anämien richtet sich nach der Form und dem Aussehen von Erythrozyten. Hierbei wird nach Hämoglobingehalt pro Erythrozyt (hyper-, normo-, hypochrom), Größe (makro-, normo, mikrozytär) und Form der Erythrozyten (z. B. Sichelzellen, Kugelzellen) unterschieden. Eine weitere Unterteilung richtet sich nach der Regenerationsrate der Erythrozyten (Erythropoese), d. h. es wird danach geschaut, wie viele Retikulozyten (= „junge“ Erythrozyten) im Blut sind. Sind viele Retikulozyten im Blutbild, scheint der Abbau von Erythrozyten zu hoch oder ein Blutverlust vorzuliegen. Sind zu wenige Retikulozyten im Blut, ist die Bildung gestört.
Eine letzte Einteilung richtet sich nach der Ätiologie. Sie scheint im Rahmen der Wirkstoffprofile am sinnvollsten. Danach gibt es Substrat- oder Cofaktormangel wie z. B. der Eisen-, Vitamin-B12- oder Folsäuremangel. Daneben gibt es die Blutungsanämien (chronisch oder akut), renale Anämien, Anämien durch chronische Erkrankungen wie z. B. Infekte oder Tumore, Immundefektanämien, die o. g. angeborenen Anämien und weitere, eher seltene Ursachen wie z. B. Knochenmarkserkrankungen. Bei dieser Einteilung wird ersichtlich, dass eine Anämie häufig als Symptom einer anderen Grunderkrankung auftritt.
Mit dem Absinken der Hämoglobinkonzentration sinkt die Transportkapazität für Sauerstoff. Da der Sauerstoffbedarf des Körpers aber zunächst gleich bleibt, muss der Körper gegenregulieren, was zu Hypoxie- bzw. Anämie-bedingten Symptomen führt. Die Symptome eskalieren mit zunehmendem Hämoglobin-Defizit. Dabei stehen anfangs Abgeschlagenheit, Müdigkeit und verminderte Leistungsfähigkeit im Vordergrund. Im weiteren Verlauf werden die Haut und Schleimhäute blass, was zuerst an der Mundschleimhaut und Augenbindehaut auffällt. Durch die Gegenregulation des Körpers kommt es zur Tachykardie und erhöhten Atemfrequenz bis hin zur Dyspnoe (subjektiv empfundene Atemnot bzw. erschwerte Atmung). Eine Herzinsuffizienz oder Angina pectoris wird hierdurch begünstigt oder verschlechtert. Auch die Hypoxie im ZNS führt zu Symptomen wie Kopfschmerzen, Ohrgeräuschen (Tinnitus), Sehstörungen, Schwindel bis hin zur Ohnmacht. Durch eine Hypoxie in den Nieren kann es zu Mikrohämaturie (erst mikroskopisch sichtbares Blut im Urin) und Proteinurie (Proteine im Urin) kommen. Akute Anämien wie z. B. durch einen massiven Blutverlust werden ab Werten unter 7 mg/dl Hämoglobin lebensbedrohlich. Dagegen kann der Körper eine lange bestehende oder eine sich langsam entwickelnde Anämie wie z. B. eine Tumor-Anämie erstaunlich gut kompensieren. So werden bei geringsten Symptomen, aber deutlich sichtbarer Blässe Hb-Werte unter 7 mg/dl toleriert.
Die Diagnostik orientiert sich zunächst an der Anamnese, bei der die o. g. Symptome beurteilt werden. Eine umfangreiche Blutuntersuchung muss in jedem Fall durchgeführt werden. Abweichungen von den unten angeführten Normalwerten machen eventuell weitere Untersuchungen notwendig (z. B. bei zu wenigen Retikulozyten eine Knochenmarksuntersuchung) oder können bereits eine adäquate Therapie einleiten:
Normalwerte
- Erythrozyten: 4,1-5,4 Mio/µl (w) bzw. 4,5-6,0 Mio/µl (m)
- Hämoglobin: 11,5-16,4 g/dl (w) bzw. 13,5-18 g/dl (m)
- MCH: 28-32 pg
- MCHC: 30-36 g/dl
- MCV: 76-88 fl
- Retikulozyten: 7-15 ‰
- Hämatokrit: 35-45 % (w) bzw. 36-48 % (m)
- Ferritin: 22-112 µg/l (w) bzw. 34-310 µg/l (m)
- Transferrin: 212-360 mg/dl
- Vitamin B12: > 300 ng/l
- Folsäure: > 2,5 ng/ml
MCH: mittlerer korpuskulärer Hämoglobingehalt
MCHC: mittlere korpuskuläre Hämoglobinkonzentration
MCV: mittleres korpuskuläres Volumen