Die Tuberkulose (lat.: tuberculum = „kleine Geschwulst“; alte Begriffe: „Schwindsucht“, „Motten“) ist eine weltweit verbreitete bakterielle Infektionserkrankung, die am häufigsten die Lungen befällt. Sie wird durch verschiedene Arten von Mycobakterien verursacht, am häufigsten durch Mycobacterium tuberculosis. Mycobakterien sind aerobe, unbewegliche, langsam wachsende, extra-und intrazellulär vorkommende, stäbchenförmige Bakterien. Sie haben eine sehr dicke Lipidschicht aus verzweigtkettigen Fettsäuren, den Mykolsäuren. Diese erschwert einerseits den Zugang für Antibiotika, andererseits sind sie dadurch in der Gramfärbung schlecht anfärbbar. Durch RNA-Analysen konnten sie zwar den grampositiven Bakterien zugeordnet werden, dennoch hat sich bei Mycobakterien aufgrund der Anfärbbarkeit in sauren Lösungen (Ziehl-Neelson-Färbung) der Begriff der „säurefesten Stäbchen“ durchgesetzt.
Die WHO schätzt die Zahl der TB-Infizierten auf 2 Milliarden, wobei jährlich etwa 9 Millionen Menschen an einer Tuberkulose (TB) erkranken und 1,4 Millionen jährlich an dieser Erkrankung oder deren Folgen sterben. Etwa 85 % aller Neuerkrankten leben in Afrika, Südostasien und im Westpazifik. Ein großes Problem in den sog. „Dritte-Welt-Ländern“ stellt die Koinfektion mit HIV dar, was die Tuberkulose mittlerweile zur häufigsten Todesursache bei HIV-Infizierten macht. In Deutschland ist die Zahl der Neuinfektionen rückläufig. Es kommt zu etwa 4.000 Neuerkrankungen pro Jahr, was einer Inzidenz von etwa 5,4/100.000 Einwohnern entspricht. Dabei sind Migranten, Obdachlose, Drogenabhängige und immunsupprimierte Patienten, etwa durch eine HIV-Infektion oder infolge einer Therapie mit Glucocorticoiden, Zytostatika oder TNFα-Blockern, besonders gefährdet. Besorgniserregend ist der Anstieg von Infektionen mit multiresistenten Erregern (MDR-TB = Multi Drug Resistant Tuberculosis).
Ein großes Problem bei der Behandlung und Eindämmung der Tuberkulose ist deren aerogene Übertragung durch Aerosole. Zwar können schon 10 Erreger für eine Infektion ausreichen, glücklicherweise ist die Ansteckungsrate jedoch nicht so hoch wie bei Varizellen oder Masern. Mycobakterien können auch durch Schmierinfektionen, parenteral, sexuell, intrauterin oder auch durch Ingestion von infizierter Nahrung übertragen werden. Etwa 5-10 % der Infizierten erkranken an einer behandlungsbedürftigen Tuberkulose, sofern sie immunkompetent sind. Bei Immunsupprimierten ist die Rate der Infektionen wesentlich höher. Die Inkubationszeit ist sehr variabel und liegt im Schnitt bei 6 bis 8 Wochen. Die Erkrankung wird klinisch in drei Stadien eingeteilt:
- Latente tuberkulöse Infektion (LTBI)
- Primärtuberkulose
- Postprimärtuberkulose
In den meisten Fällen kann der Organismus die Mycobakterien erfolgreich bekämpfen und dauerhaft durch Abkapselung eingrenzen. Eine klinische Symptomatik fehlt. Man spricht in diesen Fällen von einer latenten tuberkulösen Infektion (LTBI), die aber jederzeit -auch nach Jahrzehnten- wieder reaktiviert werden kann, wobei das Erkrankungsrisiko in den ersten beiden Jahren nach Infektion am höchsten ist.
Die Primärtuberkulose ist durch einen Organbefall gekennzeichnet, wobei sich in 80 % der Fälle eine Lungentuberkulose entwickelt, aber auch andere Organe wie z. B. Hiluslymphknoten oder die Pleura (= Brustfell: Mesothel der Lunge) betroffen sein können. Pathohistologisches Kennzeichen der Tuberkulose ist die granulomatöse Entzündung mit zentraler Nekrose („verkäsende Nekrose“) und Kavernen-Bildung. Zu den unspezifischen Symptomen im Sinne einer sog. „B-Symptomatik“ mit Fieber, Nachtschweiß, Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust (daher der Name „Schwindsucht“) können bei der Lungentuberkulose Husten -eventuell mit Blut (= Hämoptyse)-, Dyspnoe (= Luftnot), Brustschmerzen und lokale Lymphknotenschwellungen hinzukommen. Im Gegensatz zur geschlossenen Tuberkulose bei der LTBI nennt man eine Lungentuberkulose mit Kontakt der Infektionsherde zum Bronchialsystem eine offene Tuberkulose mit hoher Ansteckungsgefahr.
Nach hämatogener oder lymphogener Streuung kann sich die Postprimärtuberkulose mit Befall verschiedenster Organe bzw. Gewebe entwickeln. Betroffen sind z. B. Meningen (= Hirnhäute), Darm, Leber, Niere, Genitalien, Haut oder Knochen und Gelenke. Dementsprechend vielgestaltig sind die entsprechenden Symptome. Auch eine primäre Generalisierung der Tuberkulose ist möglich. Die Hauptkomplikationen sind eine tuberkulöse Meningitis oder die sog. Miliartuberkulose, bei der viele kleine Tuberkulose-Herde in der Lunge und anderen Organen vorkommen. Bei stark abwehrgeschwächten Patienten kann sich auch eine Sepsis („Landouzy-Sepsis“) entwickeln.
Zur Diagnose einer Tuberkulose incl. LTBI eignet sich der Tuberkulin-Hauttest (= Mendel-Mantoux-Test), bei dem eine definierte Menge Tuberkulin (= Mischung aus gereinigten Proteinen einer Mycobakterien-Kultur) unter die Haut gespritzt wird und eine Auswertung nach etwa 2 Tagen hinsichtlich der Größe der Hautreaktion erfolgt. Der früher häufig durchgeführte Stempeltest („Tinetest“) ist zu wenig aussagekräftig. Mittlerweile ist der Goldstandard in der Diagnostik der Tuberkulose der Interferon-Gamma-Test (Interferon-Gamma-Release-Assay = IGRA), bei dem Abwehrzellen aus dem Blut des Patienten mit einer Mischung aus Antigenen von Mycobacterium tuberculosis vermischt werden und die Konzentration des sich entwickelnden Zytokins Interferon γ gemessen wird. Weiterhin wird nach entsprechender Anamnese eine Bildgebung der möglichen betroffenen Organe durchgeführt wie z. B. Röntgen-Thorax oder eine Computertomographie (CT). Die Mikroskopie von Untersuchungsmaterial ist nicht ausreichend, weil die Nachweisgrenze zu hoch ist. Die Diagnose ist gesichert, wenn ein kultureller Erregernachweis aus dem Sputum, Bronchialsekret oder Gewebeproben gelingt. Dabei muss jedoch beachtet werden, dass eine Kultivierung auf festen Nährböden 4 Wochen und in Flüssigmedien immer noch 2 Wochen in Anspruch nimmt.
Zur Behandlung der Tuberkulose stehen zunächst die vier Erstrangmedikamente (= WHO-Gruppe 1) Isoniazid (INH), Rifampicin (RMP), Ethambutol (EMB) und Pyrazinamid (PZA) zur Verfügung, wobei vor Beginn der Therapie geklärt werden sollte, ob der Erreger sensibel gegenüber dieser Therapie ist und die Wirkstoffe vorraussichtlich über den gesamten erforderlichen Zeitraum eingesetzt werden können. Das parenteral zu verabreichende Aminoglykosid Streptomycin wird von der WHO mittlerweile zu den Zweitrangmedikamenten gerechnet. Die Behandlung der Tuberkulose erfolgt immer in einer Kombinationstherapie (bei Verfügbarkeit präferiert als Fixkombi). Ein Grund ist die unterschiedliche Wirksamkeit der Arzneistoffe in tuberkulösen Läsionen, in denen Mycobakterien in biologisch sehr verschiedenen Populationen vorkommen:
- Isoniazid wirkt gut bakterizid gegen bei hohem Sauerstoffpartialdruck und neutralem pH-Wert rasch wachsende Mycobakterien-Populationen. Etwas weniger gut wirkt hier auch Rifampicin. Deutlich schwächer wirken bei diesen Populationen Streptomycin und Ethambutol hat hier eher resistenzverminderte Eigenschaften.
- In nekrotisch-pneumonischen Läsionen finden sich bei niedrigem Sauerstoffpartialdruck und saurem pH-Wert langsam wachsende Mycobakterien-Populationen, gegen die besonders Pyrazinamid und Rifampicin bakterizid wirken. Streptomycin und Ethambutol wirken nicht gegen langsam proliferierende Mycobakterien.
- In fibrotischen Herden kommen Bakterien-Populationen mit sehr geringem oder gar keinem Stoffwechsel vor. Hier können die Tuberkulostatika nur wirken, wenn die Mycobakterien in eine metabolisch aktive Phase eintreten.
Ein weiterer Grund für die Kombinationsbehandlung ist die Resistenzvermeidung bzw. -verminderung. In jeder größeren Mycobakterien-Population sind bereits spontan mutierte Erreger mit einer Resistenz gegen den einen oder anderen Arzneistoff, die bei einer inadäquaten Monotherapie selektioniert werden würden.
Als Standard wird bei erwachsenen Patienten ohne Immundefizienz und resistente bzw. multiresistente Erreger eine Kombinationstherapie durchgeführt, die sich in eine 2-monatige Initialphase und eine sich anschließende 4-monatige Kontinuitätsphase gliedert. In der Initialphase sollen die Erregerzahl unter Vermeidung einer Resistenzselektion und das Ansteckungsrisiko für andere rasch vermindert werden. Eingesetzt wird eine 4-fach Kombination aus Isoniazid, Rifampicin, Ethambutol und Pyrazinamid. Die Kontinuitätsphase dient der Elimination der verbliebenen vitalen Erreger zur Ausheilung der Erkrankung und zur Vermeidung eines Rezidivs. In dieser Phase werden über mindestens vier Monate Isoniazid und Rifampicin kombiniert.
Resistenzen stellen bei Mykobakterien ein immer größeres Problem dar. Zur Vermeidung von Resistenzen muss vor Therapiebeginn durch ein Antibiogramm sichergestellt sein, dass beim jeweiligen Patienten 4 sensible Arzneistoffe angewendet werden. Bei einem verzögerten Ansprechen der Therapie, wie z. B. dem weiter bestehenden Nachweis von Erregern, muss auf eine Erreger-Resistenz untersucht werden, die Zuverlässigkeit der Arzneistoff-Einnahme (= Compliance) geprüft und die Therapie eventuell verlängert werden. Bei Verdacht auf Non-Compliance wird eine überwachte Einnahme der Arzneistoffe empfohlen (directly observed treatment = DOT) die auf richterlichen Beschluß eine zwangsweise Einweisung einschließen kann. Eine Therapieunterbrechung von mehr als 2 Monaten gilt als Therapieabbruch und ist meldepflichtig. Vor dem Neubeginn der Therapie sollte das Resistenzverhalten der Erreger getestet werden. Bei vorliegenden Resistenzen hat die WHO die Zweitrangmedikamente in weitere Gruppen eingeteilt:
- WHO-Gruppe 2: Injizierbare Arzneistoffe wie z. B. die Aminoglycoside Streptomycin und Amikacin
- WHO-Gruppe 3: Fluorchinolone neuerer Generation wie z. B. Levofloxacin und Moxifloxacin
- WHO-Gruppe 4: gesicherte Wirkung, z. B. Rifabutin und Protionamid
- WHO-Gruppe 5: unklare Wirkung, z. B. Amoxicillin/Clavulansäure, Clarithromycin, Imipenem