Das HI (humanes Immundefizienz)-Virus gehört zur Familie der Retroviren. Das heißt, die genetische Information des Erregers liegt als RNA vor, wird aber nach Infiltration der Zielzelle durch eine virale reverse Transkriptase in eine DNA umgeschrieben, welche in das Wirtszellengenom integriert wird. Danach wird die Zelle dazu angehalten, Virus-RNA zu synthetisieren, wobei die Wirtszelle nach einer gewissen Zeit zugrunde geht.
Dabei führt die Infektion zu einem fortschreitenden Immundefekt. Das liegt daran, dass HI-Viren Zellen befallen, welche auf ihrer Oberfläche den CD4-Rezeptor tragen. Dieses sind vorrangig CD-4 T-Lymphozyten (T-Helferzellen), Makrophagen, Monozyten als auch dendritische Zellen. Zusätzlich zum CD-4 Rezeptor müssen noch weitere Co-Faktoren auf den Zielzellen vorhanden sein.
Bei einer Infektion kommt es zunächst zu einer akuten Phase, welche mit grippeähnlichen Symptomen, wie Gelenkschmerzen, Fieber aber auch Hautausschlag einhergeht.
Danach kommt es zu einer, bis zu 10 Jahre andauernden latenten Phase, bei der sich das Virus mehr und mehr vermehrt bis zu einem Punkt, wo es zu einem deutlichen Immundefekt durch fehlende T-Helferzellen kommt. Ist dieser Zeitpunkt erreicht spricht man vom Krankheitsbild AIDS (aquired immundeficiency syndrom = erworbenes Immundefizienzsyndrom). Dieses zeichnet sich dadurch aus, dass Patienten sehr infektanfällig sind und daher Ziel opportunistischer Krankheitserreger, wie Viren, Pilze und Bakterien sind, welche für den Immunkompetenten keine Bedrohung darstellen. Diese Infektionen sind dann oft auch die Todesursache der Patienten, da das Immunsystem auch in Kombination mit Antibiotika nicht mehr in der Lage ist, dieser Infektionen Herr zu werden. Auch treten bestimmte maligne Erkrankungen wie Lymphome oder das Kaposi-Sarkom auf.
Eine Infektion erfolgt durch Blut- und Blutprodukte, ungeschützten Geschlechtsverkehr sowie von der Mutter zum Kind (intrauterin, perinatal oder durch Muttermilch).
Um eine Therapieempfehlung zu geben, sollten viele Parameter berücksichtig werden, wobei eine hohe virologische Wirksamkeit und eine niedrige Rate an virologischem Therapieversagen und gute Verträglichkeit im Vordergrund stehen.
Außerdem sollte die Therapie nicht, oder nur sehr selten zu Therapieversagen mit Resistenzentwicklung führen und möglichst keine Kreuzresistenzen gegen Wirkstoffe von Alternativ-Regimen induziert werden.
Zudem sollte die Therapie möglichst anwendungsfreundlich sein, was eine geringe Einnahmefrequenz, niedrige Tablettenzahl, wenig pharmakokinetische Interaktionen und diätetische Restriktionen einschließt.
Das optimale Therapieregime sollte auch bei Komorbiditäten und Risikofaktoren sicher sein und ein rasches virologisches Ansprechen zeigen.
Außerdem sollte insbesondere bei neurologischen Defiziten eine Wirksamkeit im Zentralnervensystem gegeben sein.
Eine Monotherapie sollte nicht erfolgen. Grund hierfür ist die hohe Mutationsrate des Virus, die bei Monotherapien schnell zu Resistenzen führt.
Unter Berücksichtigung der genannten Parameter empfiehld die Deutsch-Österreichische Leitlinien zur antiretroviralen Therapie der HIV-1-Infektion (2020) verschiedene Eintabletten- und Mehrtabletten-Regimes in Frage, die Integrase-Inhibitor-basiert, NNRTI(nicht-nukleosidische Reverse-Transkriptase-Inhibitor)-basiert oder PI(Protease-Inhibitor)-basiert sein können.
Eintablettenregime
Integrase-Inhibitor-basiert:
- BIC/TAF/FTC (Integrase-Inhibitor + 2 NRTI)
- DTG/ABC/3TC (Integrase-Inhibitor + 2 NRTI)
- DTG/3TC (Integrase-Inhibitor + NRTI)
- EVG/c/TAF/FTC (Integrase-Inhibitor geboostert + 2 NRTI)
NNRTI-basiert:
- DOR/TDF/3TC (NNRTI + 2NRTI)
- RPV/TAF/FTC oder RPV/TDF/FTC (NNRTI - 2 NNRTI)
PI-basiert:
- DRV/c/TAF/FTC (Protease-Inhibitor geboostert + 2 NRTI)
Mehrtablettenregime
Integrase-Inhibitor-basiert:
- DTG + TAF/FTC oder DTG + TDF/FTC
- RAL + ABC/3TC oder RAL + TAF/FTC oder RAL + TDF/FTC
NNRTI-basiert:
- DOR + TDF/FTC oder DOR + TAF/FTC oder DOR + ABC/3TC
PI-basiert:
- DRV/r + ABC/3TC oder DRV/r + TAF/FTC
Sollte eine antiretrovirale Therapie unverzüglich begonnen werden müssen, kommen folgende Regimes in Frage ohne das Resistenztestergebnis abzuwarten:
- BIC/TAF/FTC
- DTG + TAF/FTC oder DTG + TDF/FTC
- DRV/c/TAF/FTC oder DRV/r + TAF/FTC
Abkürzungen
3TC = Lamivudin
ABC = Abacavir
BIC = Bictegravir
DOR = Doravirin
DRV = Darunavir
DTG = Dolutegravir
EVG = Elvitegravir
FTC = Emtricitabin
/r = geboostert mit niedrig dosiertem Ritonavir (1-2x100 mg/Tag)
/c = geboostert mit Cobicistat (150 mg/Tag)
RAL = Raltegravir
RPV = Rilpivirin
TAF = Tenofoviralafenamid
TDF = Tenofovirdisoproxil