Die Hypercholesterinämie gehört zu den Fettstoffwechselstörungen (Dyslipidämien) und beschreibt den klinischen Befund eines Gesamt-Cholesterin-Werts im Blut über 200 mg/dl mindestens 12 Stunden nach der letzten Mahlzeit (= Nüchtern-Blutabnahme). Das Gesamt-Cholesterin kann in das Low-Density-Lipoprotein-Cholesterin (LDL-C, normal 70-160 mg/dl) und High-Density-Lipoprotein (HDL-C, normal 35-65 mg/dl) eingeteilt werden. Für die Therapie hat sich die Einteilung in primäre und sekundäre Hypercholesterinämien bewährt. Die primäre Hypercholesterinämie geht auf Gendefekte zurück. Sie wird noch einmal in die familiäre und nicht-familiäre (mit mehreren Veränderungen in der Erbinformation = polygene) Form eingeteilt. Die Gendefekte führen zu funktionsbeeinträchtigten LDL-Rezeptoren auf den Leberzellen (= Hepatozyten), die für die Aufnahme des LDL-Cholesterins aus dem Blut sorgen sollen. Der Erbgang ist autosomal-dominant. Bei der homozygoten Form kommt es schon sehr frühzeitig zu den nachfolgend erwähnten kardiovaskulären Erkrankungen.
Die sehr viel häufigere sekundäre Hypercholesterinämie (ca. 70 %) ist Folge eines anderen Risikofaktors wie Überernährung, Adipositas oder Schwangerschaft bzw. Folge einer anderen Erkrankung wie Diabetes, Bauchspeicheldrüsenentzündung (= Pankreatitis), Schilddrüsenunterfunktion (= Hypothyreose), Alkoholismus, Magersucht (= Anorexia nervosa) oder chronische Niereninsuffizienz. Auch bestimmte Arzneistoffe wie Corticoide zur Immunsuppression, Kontrazeptiva oder HIV-Therapeutika können zu Fettstoffwechselstörungen führen.
Dyslipidämien sind neben anderen Faktoren wie Alter, männliches Geschlecht, Rauchen, mangelnde Bewegung, Ernährungsgewohnheiten, Typ-2-Diabetes und Bluthochdruck ein bedeutender Risikofaktor für das Entstehen von kardiovaskulären Gefäßerkrankungen auf dem Boden einer Arteriosklerose wie z. B. koronare Herzkrankheit, Herzinfarkt, Schlaganfall, Aortenaneurysma und periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK). Daher ist es ein großes Ziel im Gesundheitswesen, diese Patienten frühzeitig zu erkennen und entsprechend zu behandeln.
Zur Diagnostik muss neben der Bestimmung vom Gesamtcholesterin (normal bis 200 mg/dl) und LDL-Cholesterin (normal zwischen 70-160 mg/dl) das kardiovaskuläre 10-Jahres-Risiko des Patienten mit Hilfe von auf Basis epidemiologischer Studien erstellter SCORE-Chart-Tabellen (SCORE = Systemic Coronary Risc Evaluation) bestimmt werden. Den Laborwerten sowie Angaben des Patienten zu kardiovaskulären Risikofaktoren (Alter, Geschlecht, Raucherstatus, Blutdruck, Gesamtcholesterin, HDL-Cholesterin) werden jeweils die entsprechenden Werte aus diesen Chart-Tabellen zugeordnet. Am Ende erhält man einen Wert in Prozent, der das 10-Jahres-Risiko des Patienten angibt, innerhalb dieser Zeitspanne eine kardiovaskuläre Erkrankung zu bekommen. Leider gibt es keinen einheitlichen SCORE-Chart in den verschiedenen Leitlinien. Es gibt z. B. den sog. Framingham-, Procam- oder den ESC-SCORE (= European Society of Cardiology). Im Internet finden sich Algorithmen zur entsprechenden Berechnung. Auf einige Schwächen von den erwähnten Chart-Tabellen sei jedoch hingewiesen: Neben den oben angeführten „harten“ kardiovaskulären Risikofaktoren müssen unter Umständen weitere Risikofaktoren wie z. B. Bewegungsarmut, Adipositas, Diabetes, besonders junges Alter, positive Familienanamnese bezüglich kardiovaskulärer Ereignisse, oben angeführte Arzneistoffklassen (Kontrazeptiva, Corticoide, etc.) oder Niereninsuffizienz stärker berücksichtigt werden. Im ESC-SCORE werden die Patienten daher vor der jeweiligen Berechnung des kardiovaskulären Risikos noch einmal in Hoch- und Niedrig-Risiko-Patienten eingeteilt. Weiterhin muss bedacht werden, dass die jeweiligen Grenzen innerhalb der Chart-Tabellen trotz der Erstellung anhand epidemiologischer Studien willkürlich gesetzt wurden.
Die Versorgung von Hochrisikopatienten ist trotz steigender Verordnungszahlen nach wie vor mangelhaft. Die Entscheidung zu einer medikamentösen Therapie der Hypercholesterinämie wird nach wie vor sehr kontrovers diskutiert. Während es zur Sekundärprävention kardiovaskulärer Ereignisse sehr valide Studiendaten gibt, ist die Studienlage zur Primärprävention hinsichtlich Morbidität und Mortalität nicht eindeutig. Eine sichere Empfehlung kann hier erst bei einem kardiovaskulären Risiko >20 % ausgesprochen werden. Unstrittig ist, dass sekundäre Risikofaktoren wie z. B. Diabetes oder Bluthochdruck konsequent behandelt werden müssen. Weiterhin sollte bei zu hohen Cholesterin-Werten eine entsprechende Diät und mehr Bewegung bzw. altersgerechter Sport angeraten werden. Bei sehr hohen Cholesterin-Werten muss immer auch an eine primäre Hypercholesterinämie gedacht und entsprechende genetische Untersuchungen veranlasst werden. Primäre Hypercholesterinämien müssen bei Diagnosestellung konsequent medikamentös behandelt werden. Bei der Primärprävention sekundärer Hypercholesterinämien sollte die Frage einer medikamentösen Therapie bei entsprechenden Cholesterin-Werten als den therapieleitenden Surrogatparametern und einem kardiovaskulären Risiko über 20 % sehr intensiv diskutiert werden (z. B. „arriba“-Hausarzt-Modell).
Die entscheidende Arzneistoffklasse zur medikamentösen Therapie einer Hypercholesterinämie sind die Statine wie z. B. Simvastatin. Sie vermindern das LDL-Cholesterin im Blut und haben in Studien gezeigt, dass sie in der Sekundärprophylaxe die Mortalität und Morbidität senken. Zum Einsatz von Statinen gibt es verschiedene Herangehensweisen. Das am besten durch Studien belegte Vorgehen ist die sog. „fire-and-forget-Strategie“, bei der dem Patienten eine Standarddosis wie z. B. 20 mg Simvastatin verordnet wird. Bei der durch die ESC empfohlenen sog. „treat-to-target-Strategie“ wird die Dosis des Statins so lange erhöht, bis ein dem gemessenen Risiko-Score entsprechender LDL-Zielwert erreicht ist. Diese Methode ist durch die vermehrten Arztbesuche und Laboruntersuchungen deutlich teurer. Neuerdings taucht immer häufiger auch die Variante der prozentualen LDL-Senkung des jeweiligen Ausgangswertes um 30-50 % bzw. bei Hochrisikogruppen um über 50 % auf. In diesem Kontext kann man die einzelnen Statine in mittel- und hochpotente Statine einteilen. Zu den hochpotenten Statinen zählt man Atorvastatin und Rosuvastatin, weil sie den Ausgangs-LDL-Wert in entsprechender Dosierung um über 50 % senken können. Bei Statin-Intoleranz oder nicht ausreichender LDL-Senkung bei höchstmöglicher Statin-Dosis muss eine Kombination bzw. Sekundärtherapie mit dem Austauscherharz Colestyramin und/oder Nicotinsäure erfolgen. Sie senken das LDL-Cholesterin deutlich weniger und haben ein ungünstigeres Nutzen-Risiko-Profil, weshalb sie Mittel der 2. Wahl sind. Auch für den Cholesterinresorptionshemmer Ezetimib gibt es sowohl für die Mono- als auch die Kombinationstherapie keinerlei Nutzenbelege. Weiterhin sei –insbesondere bei primären Hypercholesterinämien- auf die Möglichkeit einer Lipidapherese verwiesen, bei der direkt aus dem Blut bzw. Plasma LDL-Cholesterin und Triglyceride entfernt werden. Im Juli 2015 ist mit Evolocumab eine neue Wirkstoffklasse auf den Markt gekommen. Evolocumab ist ein humaner monoklonaler IgG2-Antikörper, der selektiv mit hoher Affinität an das Enzym Proproteinkonvertase-Subtilisin/Kexin-Typ-9 (PCSK9) bindet und den Abbau von LDL-Rezeptoren in der Leber verhindert. Evolocumab ist derzeit nur für schwere Formen der Hypercholesterinämie, bei Therapieversagen der anderen Cholesterinsenker oder der homozygot familiären Hypercholesterinämie zugelassen.
Die im Jahr 2013 veröffentlichte Cholesterin-Leitlinie der kardiologischen Fachgesellschaften American Heart Association (AHA) und American College of Cardiology (ACC) behält den LDL-C-Wert als therapieleitenden Surrogatparameter bei und empfiehlt eine medikamentöse Cholesterin-Senkung in noch höherer Breite und Intensität als bisher. Da diese Empfehlungen teilweise nicht durch Studien belegt wurden und nach den derzeitigen Arzneimittelrichtlinien eine Kostenerstattung zur Primärprävention erst ab einem kardiovaskulären Risiko von 20 % erfolgt, bleibt abzuwarten, inwieweit sich diese neueren Empfehlungen auf die Therapie in Deutschland auswirken werden.