Eine Hyperurikämie bezeichnet eine Erhöhung des Harnsäurespiegels im Blut über 6,5 mg/dl (387 µmol/l). Der Grenzwert ergibt sich aus der physikalischen Löslichkeit von Natriumurat bei 37 Grad Celsius und pH 7,4 (= physiologische Bedingungen im Körper). Sie muss nicht mit klinischen Symptomen einhergehen. Die klinische Manifestation einer Hyperurikämie ist die Gicht (Arthritis urica, im Volksmund „Zipperlein“). Sie ist eine Erkrankung des Purin-Stoffwechsels. Purine wie Adenin und Guanin spielen eine wichtige Rolle als DNA-Bausteine. Über deren Abbauprodukt Xanthin entsteht durch die Xanthinoxidase Harnsäure, eine harnpflichtige Substanz.
Eine Hyperurikämie findet sich sehr häufig in der Bevölkerung. Etwa 5 % der erwachsenen Männer haben erhöhte Harnsäurewerte. Frauen sind deutlich seltener betroffen. Bei ihnen wirken wahrscheinlich die Estrogene einer Hyperurikämie entgegen. Daher sind ca. 80 % der Gichtpatienten Männer. Eine manifeste Gicht tritt meist zwischen dem 40. Und 60. Lebensjahr auf. Assoziiert ist sie häufig mit dem metabolischen Syndrom, bei dem Übergewicht, Hypertonie, schlechte Blutfettwerte und Diabetes gemeinsam vorliegen. Im Grunde können drei Ursachen für erhöhte Harnsäurewerte in Frage kommen:
- Die Nieren scheiden zu wenig Harnsäure aus
- Der Körper bildet zu viel Harnsäure
- Der Patient nimmt zu viel Purine mit der Nahrung auf
Häufig wird dabei eine Einteilung in die primäre und sekundäre Hyperurikämie vorgenommen. Bei der primären Form liegt eine angeborene Störung des Purinstoffwechsels vor. Hierbei handelt es sich um Enzymdefekte wie z. B. das Lesch-Nyhan-Syndrom, bei dem ein Mangel an Hypoxanthin-Guanin-Phosphoribosyltransferase (HGPRT) vorliegt, oder um Defekte, bei denen es zu einer vermehrten Aktivität der Xanthinoxidase oder der Amidophosphoribosyltransferase (= ATase oder Glutaminphosphoribosyl-Amidotransferase) kommt. Primäre Hyperurikämien sind sehr selten. Bei der sekundären Hyperurikämie sind die Ursachen durch andere Erkrankungen oder durch eine medikamentöse Therapie begründet. Zu einer gesteigerten Harnsäurebildung aufgrund gesteigerter Purinfreisetzung kommt es z. B. bei einer Polycythaemia vera (eine myeloproliferative Erkrankung, bei der alle drei Blutzellreihen im Blut vermehrt sind), bei Leukämien oder im Rahmen einer Tumorbehandlung mit Zytostatika. Zu einer verminderten renalen Harnsäureausscheidung kommt es z. B. bei Niereninsuffizienz, Alkoholismus, Ketoazidose, bei der durch eine pH-Absenkung im Blut das Löslichkeitsprodukt von Harnsäure bereits bei niedrigeren Werten erreicht ist und somit Harnsäurekristalle ausfallen können, oder einer Therapie mit Diuretika (Schleifendiuretika, Thiazide).
Im Hinblick auf die Symptomatik bei Hyperurikämie und Gicht hat sich eine klinische Einteilung bewährt:
- Asymptomatische Gewebeablagerungen von Urat (Salze der Harnsäure)
- Akuter Gichtanfall
- Interkritische Phasen (zwischen zwei Gichtanfällen ggf. mit zunehmenden Uratablagerungen im Gewebe
- Chronische Gicht
Gewebeablagerungen von Urat nennt man Tophi. Sie kommen häufig in schlecht durchbluteten Geweben wie z. B. Weichteil- und Knorpelgewebe vor. Äußerlich sichtbar sind sie, wenn sie sich in der Subcutis (Unterhaut, z. B. an der Ohrmuschel), in Sehnenscheiden oder Schleimbeuteln ablagern. Diese Gewebeablagerungen können zwar zunächst asymptomatisch bleiben, jedoch schädigen sie zum einen auf längere Sicht das Gewebe mit entsprechenden Komplikationen (siehe unten), zum anderen ist jederzeit eine Exacerbation (= akute Verschlechterung) zu einem akuten Gichtanfall möglich.
Der Gichtanfall ist die akut schmerzhafte Manifestation der Gicht. Es handelt sich um eine rasch einsetzende Entzündung meist nur eines Gelenks (Monoarthritis in 90 % der Fälle) ohne ein vorangegangenes Trauma, die oft innerhalb weniger Stunden eine maximale entzündliche Aktivität entwickelt. Die Entzündung ist mit der Bildung von Harnsäurekristallen im Gelenk oder gelenknahen Geweben (wie z. B. Schleimbeutel) assoziiert. Es kommt zu den klassischen Entzündungszeichen mit starken Schmerzen (dolor) -auch bei Berührung-, Überwärmung (calor), Schwellung (tumor) und Rötung (rubor). Auch die Funktion ist stark beeinträchtigt.
In den Phasen zwischen akuten Gichtanfällen setzen sich die Uratablagerungen im Gewebe fort und es können sich Komplikationen der nun sog. „chronischen Gicht“ einstellen.
Besonders gefürchtet ist die Urat-Nephropathie. Ausfallende Uratkristalle in der Niere zerstören das Nierengewebe, es entwickelt sich eine chronische Nephritis. Wird das Löslichkeitsprodukt von Harnsäure im ableitenden Harntrakt überschritten, kommt es zur Bildung von Harnsteinen (Nephrolithiasis/ Urolithiasis), die die ableitenden Harnwege blockieren und damit zu (Nieren-)Koliken führen können. Weiterhin können die Harnsäurekristalle in den Gelenken den Knorpel und später auch den Knochen zerstören. Im Röntgenbild findet man Osteolysen, also sichtbare Auflösungen von Knochengewebe. Das betroffene Gelenk ist schmerzhaft, wird deformiert und in seiner Funktion irreversibel stark eingeschränkt. Schließlich führen die Gichttophi im Weichteilgewebe zu teils sehr schmerzhaften Entzündungen, wie z. B. Schleimbeutelentzündungen (Bursitiden).
Eine Hyperurikämie wird anhand des Serumspiegels der Harnsäure im Blut diagnostiziert. Die klinische Diagnose eines akuten Gichtanfalls kann gestellt werden, wenn sich eine schmerzhafte Monoarthritis eines peripheren Gelenks innerhalb eines Tages ohne vorhergehendes Trauma (z. B. Sturz, OP, intraartikuläre Injektion) entwickelt hat. Eine weitere Diagnostik ist nur bei untypischen Fällen indiziert. Im Blut findet man eine Leukozytose (Erhöhung der weißen Blutkörperchen). Die Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit (BSG) ist stark erhöht. Der Harnsäurespiegel im Blut ist im Anfall nur bei einem Drittel der Patienten erhöht. Eine Gelenkpunktion zum Nachweis von Uratkristallen sollte im hausärztlichen Bereich nicht durchgeführt werden. Die EULAR-Empfehlungen (european league against rheumatism) gehen jedoch dahin, bei jeder Person mit Verdacht auf Gicht eine Suche nach Uratkristallen in der Synovialflüssigkeit (Gelenkflüssigkeit) oder im Tophus-Aspirat (Tophus = sichtbarer Uratablagerungen im Weichteil- oder Knorpelgewebe) durchzuführen. Es ist weiterhin empfehlenswert, die Nieren auf pathologische Veränderungen hin sonographisch (= Ultraschall) zu untersuchen.
Das Therapieziel ist, ein Fortschreiten der Gicht und eventuelle neue Gichtanfälle zu verhindern, eventuelle Uratablagerungen wieder aufzulösen und die Tophusbildung rückgängig zu machen. Eine erhöhte Serumharnsäure ohne Folgeerkrankung wie Gicht oder Urolithiasis stellt keine Indikation für eine medikamentöse Intervention dar. Jedoch gilt dieses Prinzip nicht bei sekundären Hyperurikämien im Rahmen einer Tumorerkrankung (z. B. Leukämien) und/oder einer Behandlung mit Zytostatika. Hier muss prophylaktisch wegen zu erwartender massiv erhöhter Harnsäurespiegel neben der eventuellen Gabe von Allopurinol mit Rasburicase oder Pegloticase, einem Enzym, das Harnsäure in deutlich besser lösliches Allantoin umwandelt, therapiert werden.
Nach einem ersten Gichtanfall muss der Patient über mögliche Lebensstiländerungen aufgeklärt werden: Übergewicht sollte langsam reduziert werden. Dabei sollte die Ernährung auf purinarme Kost umgestellt, d. h. purinreiche Lebensmittel wie Fisch, Fleisch, Hülsenfrüchte oder (Bier-)Hefe sollen reduziert werden. Dabei sollten üppige Mahlzeiten, aber auch langes Fasten vermieden werden. Sofern keine Kontraindikation wie z. B. eine Herzinsuffizienz besteht, sollten mindestens 2 Liter Flüssigkeit am Tag zugeführt werden. Alkohol kann einen Gichtanfall auslösen. Daher sollte ein kompletter Verzicht auf Alkohol angestrebt werden. Körperliche Aktivität hilft, den Harnsäurespiegel im Blut zu senken. Während und bis etwa 14 Tage nach einem Gichtanfall sollte nicht mit einer harnsäuresenkenden Therapie (= urate-lowering therapy, ULT) begonnen werden, weil die Harnsäure im Blut zu Therapiebeginn passager sogar ansteigen kann. Nach einem ersten Gichtanfall sollte eine ULT in Betracht gezogen und mit dem Patienten diskutiert werden. Nach einem zweiten Gichtanfall bzw. bei chronischer Gicht muss in jedem Fall eine ULT begonnen werden. Jede ULT sollte einschleichend unter Kontrolle der Harnsäurewerte begonnen werden. Zielwert ist ein Serum-Harnsäurespiegel < 6 mg/dl.
Bei Patienten mit normaler Nierenfunktion ist der Xanthinoxidase-Hemmer Allopurinol das Mittel der Wahl. Er verhindert die Umwandlung von besser löslichem Xanthin und Hypoxanthin in Harnsäure. Begonnen wird mit 100 mg Allopurinol am Tag. Die Dosis soll alle 2-4 Wochen um 100 mg auf maximal 300 mg/d gesteigert werden, bis der Harnsäurespiegel den Zielwert erreicht hat. Wird dieser mit einer angemessenen Allopurinol-Dosis nicht erreicht, sollte von Allopurinol auf Febuxostat, einem weiteren neueren, aber auch wesentlich teureren Xanthinoxidase-Hemmer oder ein die Harnsäure-Ausscheidung erhöhendes Urikosurikum wie z. B. Benzbromaron gewechselt, oder Allopurinol mit einem Urikosurikum kombiniert werden. Febuxostat oder ein Urikosurikum sind ebenso indiziert, wenn Allopurinol nicht toleriert wird. Bei Niereninsuffizienz ist die Dosis von Allopurinol an die Creatinin-Clearance nach unten anzupassen. Urikosurika sind nicht indiziert bei Komplikationen wie Urat-Nephropathie, Urat-Nephrolithiasis oder einer primären Hyperurikämie mit Harnsäure-Überproduktion. Bei Patienten mit schwer einschränkender tophöser Gicht und schlechter Lebensqualität ist der Einsatz von Pegloticase indiziert, wenn der Zielwert von < 6 mg/dl Harnsäure im Blut nicht mit den o. g. Maßnahmen erreicht werden kann.
Da gerade zu Beginn einer harnsäuresenkenden Therapie erneut Gichtanfälle auftreten können (besonders in der 8. bis 12. Woche), wird inzwischen während der ersten 6 Monate eine zusätzliche Prophylaxe mit Colchicin in niedriger Dosis (0,5-1 mg/d) oder mit 1 x täglich 500 mg Naproxen empfohlen. Allerdings hat Colchicin derzeit keine Zulassung in dieser Indikation.